Barrierefreiheitsstärkungsgesetzt: Kommentar einer Betroffenen

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) wurde am 15. Juni 2022 verabschiedet und definiert Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen, die nach dem 28. Juni 2025 veröffentlicht oder erbracht werden. Darunter fallen zum Beispiel der gesamte Online-Handel, Hardware, Software, aber auch Personenverkehr oder Bankdienstleistungen. Ziel des Gesetzes ist es, Barrieren zu beseitigen, damit alle Menschen gleichberechtigt am Leben und an der Arbeit teilhaben können und ihre Lebensqualität verbessert wird. Das Gesetz ist ein wichtiger Schritt hin zu einer inklusiveren Gesellschaft und setzt wichtige Standards für eine barrierefreie Zukunft. 

Im Folgenden finden Sie einen Text mit den Gedanken von Lilo Klotz. Sie ist Mitglied in unserem Beirat "Leben mit Demenz". Dieser Text zeigt eindrucksvoll, warum es so wichtig ist, Barrierefreiheit nicht nur zu bedenken, sondern aktiv zu gestalten. Durch ihre persönlichen Erfahrungen macht sie deutlich, wie sehr eine barrierefreie Umgebung die Lebensqualität und die Selbstbestimmung von Menschen mit Demenz verbessern kann – sowohl im Alltag als auch in sozialen Interaktionen. Ihre Perspektive unterstreicht, dass Barrierefreiheit weit mehr ist als nur eine gesetzliche Anforderung; sie ist ein Schlüssel zu mehr Teilhabe und Inklusion für alle Menschen.

Kommentar einer Betroffenen - Vergessen darf nicht ausgeschlossen bedeuten

Manchmal vergesse ich Dinge. Namen, Termine, und sogar wie ich eine App bediene. Mein Kopf ist wie ein Bücherregal, aus dem Seiten verschwinden. Aber eins bleibt: das Bedürfnis, dabei zu sein. Mitzumachen. Mich nicht hilflos zu fühlen.

Dabei war ich nie jemand, der sich mit Technik schwertat. Ich habe 30 Jahre in der IT gearbeitet, war immer digital affin, habe neue Systeme getestet, Lösungen mit entwickelt und digitale Prozesse optimiert. Doch heute stehe ich oft vor einer digitalen Welt, die mich überfordert.

Ab dem 28. Juni 2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) in Kraft. Es setzt die europäische Richtlinie zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act, EAA) um und soll sicherstellen, dass Produkte und Dienstleistungen für alle Menschen zugänglich sind – auch für mich.

Das bedeutet: Websites müssen klarer und verständlicher werden. Weniger komplizierte Texte, keine verwirrenden Menüs. Geldautomaten und Fahrkartenautomaten sollen so gestaltet sein, dass ich sie intuitiv nutzen kann. Digitale Angebote dürfen mich nicht überfordern, sondern müssen mir helfen.

Schon heute haben über 1,8 Millionen Menschen in Deutschland eine Demenz. 2050 könnten es drei Millionen sein. Das sind keine Zahlen aus einem Bericht – das sind Menschen wie ich. Menschen, die einkaufen, Fahrkarten lösen, mit ihren Liebsten kommunizieren möchten. Die Welt soll nicht an uns vorbeiziehen, nur weil unser Gedächtnis uns manchmal verlässt.

Aber die Realität sieht anders aus. Oft stoße ich auf Webseiten mit kleinen Schriften, komplizierten Navigationen oder unverständlichen Anweisungen. In Geschäften finde ich mich manchmal nicht zurecht, weil digitale Kassensysteme zu schnell für mich sind. Beim Fahrkartenautomaten habe ich Angst, etwas falsch zu drücken. Diese Unsicherheit hält mich davon ab, am Leben teilzunehmen.

Das BFSG verpflichtet Unternehmen, Barrieren abzubauen – bei Bankdiensten, Online-Shops, E-Book-Readern, Ticketautomaten und vielem mehr. Bis 2025 müssen sie ihre digitalen und physischen Angebote so gestalten, dass sie für alle nutzbar sind. Wer nicht handelt, riskiert nicht nur Bußgelder, sondern auch, Menschen wie mich auszuschließen.

Die Wirtschaft profitiert ebenfalls. Eine barrierefreie Gestaltung erreicht nicht nur Menschen mit Einschränkungen, sondern erleichtert allen den Zugang zu Produkten und Dienstleistungen. Einfache Navigation, verständliche Sprache und durchdachte Bedienkonzepte kommen jedem zugute – egal ob alt oder jung. Studien zeigen, dass Unternehmen, die Barrierefreiheit umsetzen, mehr Kunden gewinnen und ihre Reichweite vergrößern.

Es geht nicht nur um Gesetze, sondern um Menschlichkeit. Jeder kann irgendwann auf Barrieren stoßen – sei es durch Alter, Krankheit oder Unfall. Eine inklusive Gesellschaft denkt voraus und sorgt dafür, dass niemand ausgeschlossen wird.

Vergessen darf nicht bedeuten, dass ich nicht mehr dazugehöre. Das neue Gesetz hilft, genau das zu verhindern. Aber es braucht den Willen aller, diese Veränderungen jetzt umzusetzen. Die Zukunft muss barrierefrei sein – für mich, für dich, für uns alle. 

Lieselotte Klotz, Beirat "Leben mit Demenz“ der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V.