„Und dann gibt’s ja auch noch Marie!“

Aus: Alzheimer Info 3/17

Interview mit Klaus Meyer, der mit Alzheimer lebt

Klaus Meyer ist Mitglied des Beirats „Leben mit Demenz“, einer Arbeitsgruppe von Menschen mit Demenz, die den 
Vorstand der Deutschen Alzheimer Gesellschaft berät. Für das Alzheimer Info hat er einige Fragen dazu beantwortet, 
wie er sein Leben mit der Krankheit gestaltet.

Klaus Meyer ist ein Mann, der das Reden gewohnt ist. Bevor er an Alzheimer erkrankte, hat er für eine große Versicherung gearbeitet, zuletzt als freigestellter Betriebsrat. Vor einigen Jahren fiel es ihm dann zunehmend schwerer, den Anforderungen gerecht zu werden. Das fiel auch seinen Kollegen auf. Bis die Diagnose feststand, dauerte es aber noch zwei Jahre. „Die Diagnose war natürlich erst mal ein Schuss vor den Bug. Das ist auch heute noch nicht ganz verarbeitet.“ Heute ist er Ende 50. Mit seiner Erkrankung ist er sehr offen umgegangen. Bei der Arbeit ebenso wie in der Familie und im Freundeskreis. „Ich hab es allen erzählt! So richtig überrascht waren die damals allerdings nicht“, sagt er. „Sie haben ja vorher schon gemerkt, dass es bei mir nicht mehr so ging…“

Seinen Beruf musste Klaus Meyer aufgeben, doch an seiner Wohnsituation hat sich bisher nichts geändert: Seit mehr als 
20 Jahren lebt er in einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt auf einem ehemaligen Bauernhof am Rand von Hamburg. 
Zunächst teilte er seine Wohnung mit Frau und Tochter, mittlerweile sind beide ausgezogen. Die Tochter hat angefangen zu studieren. Und seine Frau? „Die ist jetzt auch wieder weg!“ sagt er und lacht. Auf dem früheren Bauernhof leben außer Klaus Meyer 14 Erwachsene, fünf Kinder und zwei Jungerwachsene zusammen mit Katzen, Hunden, drei Heidschnucken - und Bienen. Der Hof mit allem was dazu gehört wird gemeinschaftlich instand gehalten, dazu ist die freiwillige Mithilfe aller Nachbarn erforderlich. Auch Klaus Meyer will sich so lange wie möglich aktiv einbringen. „Wenn ich dann mal im Rollstuhl sitze oder so, dann geht’s halt nicht mehr.“

Sein Auto hat er abgegeben und vor kurzem auch noch das Motorrad verkauft. Nicht mehr Motorrad fahren zu können, wurmt ihn besonders. Aber er hat schon eine pragmatische Lösung im Sinn: „Ich suche mir einfach mal jemanden, der mich mitnimmt. Meine Motorrad-Klamotten habe ich ja alle noch.“

Die Frage nach seinen sonstigen Hobbys und Interessen beantwortet Klaus wie aus der Pistole geschossen. „Politik!“ Auch wenn er politisch nicht mehr ganz so aktiv ist wie noch vor einigen Jahren, gewerkschaftlich engagiert ist er immer noch. Ab und zu geht er zu Veranstaltungen bei Verdi. Außerdem interessiert er sich sehr für Computer und Datenschutz. Meistens hat er eine Computerzeitschrift im Rucksack dabei. Und er liest viel Zeitung. „Viel zu viel!“, sagt er lachend. Vieles kann er noch alleine, doch „neulich habe ich mich mal verlaufen. Es gibt so eine Ärztin, da muss ich öfter hin. Und dann stand ich da vor dem Haus und hab mich gefragt, ‚Ist das jetzt das richtige?‘ Aber so lange ich noch weiß, wo ich hinwill, geht’s ja!“ Und falls es doch mal ein Problem gibt, kann er seine Nachbarinnen und Nachbarn auf dem Hof immer ansprechen. 

Viel Unterstützung erhält er auch heute noch durch seine Frau. Sie hilft ihm bei Alltagsaufgaben, die ihm durch die Demenz schwer fallen – Papierkram zum Beispiel. Die beiden sehen sich mindestens einmal in der Woche, seine Frau ruft ihn fast täglich an und erinnert ihn an seine Termine oder wichtige Angelegenheiten, organisiert seine Arzttermine und manchmal auch eine Begleitung zu Freizeitaktivtäten. 

„Und dann gibt’s ja auch noch Marie!“ Gemeinsam mit seiner Frau hat Klaus eine Anzeige für „Wohnen für Hilfe“ geschaltet und Marie hat sich bei ihm gemeldet. Die junge Frau wird in Hamburg Musik studieren. Die beiden haben sich gleich gut verstanden und konnten sich das Zusammenwohnen nach einem Probewochenende gut vorstellen. „Wohnen für Hilfe“ ist ein Modell, das mittlerweile in vielen deutschen Städten in Kooperation mit den jeweiligen Studentenwerken angeboten wird. Grund prinzip ist, wie der Name schon sagt, eine sehr  geringe Miete im Austausch gegen einige Stunden wöchentlich Unterstützung im Haushalt, Garten, bei der Kinderbetreuung oder ähnliches.

„Marie unterstützt mich eben ein bisschen. Dass ich keine verkehrten Socken anziehe zum Beispiel, einen roten und einen blauen“, sagt Klaus Meyer. Seine neue Mitbewohnerin erinnert ihn an seine Tabletten, hilft ihm, seine Termine im Blick zu behalten oder füllt mit ihm das Formular zum Bestellen des Mittagessens aus. Pflege ist dabei ausgeschlossen. Die braucht Klaus auch nicht. Das Arrangement mit Marie ist neu, aber beide sind zuversichtlich, dass sie gut miteinander auskommen werden.

Lina Sommer, 
Alzheimer Gesellschaft Hamburg e.V