Wir stecken den Kopf nicht in den Sand!

Aus: Alzheimer Info 1/12

Gespräch mit Gerhard Bräuer, demenzerkrankt, und seiner Lebensgefährtin Birgit Hohnecker

Der Berliner Zahnarzt und Vater von drei Kindern Gerhard Bräuer (59) erhielt 2010 die Diagnose Alzheimer und gab daraufhin seinen Beruf auf. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin Birgit Hohnecker berichtete er in der TV-Talkshow von Günther Jauch am 20. November 2011 offen über sein Leben vor und nach der Diagnose. Im Januar 2012 sprachen wir mit beiden in der Geschäftsstelle der Deutschen Alzheimer Gesellschaft.

Herr Bräuer, Sie waren lange Jahre als Zahnarzt tätig.

Gerhard Bräuer: Ja, mehr als 30 Jahre, und es hat mir Spaß gemacht. Nach der Diagnose habe ich einen Rentenantrag gestellt und meine Zulassung zurück­gegeben.

Birgit Hohnecker: Und in der Freizeit hat er alle Zahnarztklischees bedient: Porsche fahren, Segeln, Tennis, Skifahren, Golfclub.

Gerhard Bräuer: Ich spiele immer noch Tennis, wenn auch nicht mehr so gut.

Was waren die ersten Anzeichen für eine Demenzerkrankung?

Birgit Hohnecker: Beim Autofahren habe ich einen Rechtsdrall bemerkt. Er hat mal einen Außenspiegel abgefahren und einen Unfall gebaut, ist jemandem draufgefahren. Auch in der Praxis, beim Arbeiten über den Zahnarztspiegel gab es Probleme. Nachdem der Augenarzt bescheinigte hatte, dass mit den Augen alles in Ordnung war, haben wir im Internet die Adresse eines Neurologen rausgesucht und sind da hin. Der hat einige Tests gemacht und da sah es schon sehr nach Alzheimer aus. Aber er hat empfohlen eine ganz gründliche Untersuchung in der Neurologischen Abteilung eines Krankenhauses machen zu lassen. Im März 2010 stand dann die Diagnose Alzheimer fest.

Wie haben Sie auf diese Diagnose reagiert?

Gerhard Bräuer: Erstmal war es ein Schock für mich. Aber ich gewöhne mich eigentlich an alles. Die Traurigkeit hat sich bald wieder gelegt.

Birgit Hohnecker: Wir haben uns gesagt: Wir können uns jetzt vergraben, oder wir machen das Beste daraus. Im Augenblick geht es ja noch ganz gut, da freuen wir uns aneinander.

Gerhard Bräuer: Die Kinder auch. Die Mädchen sind alle zwei Wochen da. Wir haben ein gutes Familienleben.

Birgit Hohnecker: Die Töchter gehen gut damit um, auch seine Geschwister, Freunde und Bekannte. Alle sind nach wie vor da, außer seinem Sohn, der hat den Kontakt abgebrochen. Aber diese Beziehung war schon vorher schwierig.

Gerhard Bräuer: Die gehen alle richtig schön mit mir um.

Birgit Hohnecker: Die Mädchen sagen immer: „Ach Mann, Papa, das hab' ich Dir doch schon erzählt“.

Gerhard Bräuer: Das sagen sie mit einem Augenzwinkern.
Ich habe Glück gehabt, dass die Diagnose schnell klar war. Und jetzt fühle ich mich eigentlich sehr wohl. Ich weiß, wo ich wohne. Ich kann Einkaufen gehen. Ich muss nicht gepflegt werden.

Sie nehmen an einer Medikamentenstudie der Charité teil. Wie kam es dazu?

Birgit Hohnecker: Eine Bekannte brachte eine Zeitungsanzeige mit, in der Patienten mit Alzheimer für eine Studie gesucht wurden. Die begann 2010 und geht bis März 2012.

Haben Sie das Gefühl, dass das Medikament etwas bringt?

Gerhard Bräuer: Es bringt Hoffnung. Es ist seitdem gleich geblieben.

Birgit Hohnecker: Ja, das zeigt auch das MRT. Verschlechtert hat sich die Aussprache und es gibt Wortfindungsstörungen. Weil es mit dem Sehen etwas schwierig ist, gibt es Schwierigkeiten beim Treppensteigen, besonders abwärts.

Gerhard Bräuer: Ja, das stimmt.

Birgit Hohnecker: Wir lassen es auf uns zukommen. Wie bei einer Schwangerschaft weiß man nicht, was am Ende dabei heraus kommt. Wir machen uns nicht so verrückt. Wir gehen auch nicht in Selbsthilfegruppen oder sprechen mit anderen Betroffenen. Wir lassen es auf uns zukommen. Wenn man mal Hilfe braucht, kann man sich immer noch darum kümmern.

Gerhard Bräuer: Unser Nachbar hatte Alzheimer. Offenbar ein schwerer Verlauf bei ihm.

Birgit Hohnecker: Inzwischen ist er im Heim und erkennt seine Frau nicht mehr. Wir wissen schon, was auf uns zukommt. Wir sind nicht blauäugig. Aber wir versuchen, diese Zeit noch zu genießen.

Haben Sie Vorsorgeverfügungen getroffen?

Birgit Hohnecker: Wir haben die Formulare zu Hause, aber noch nicht ausgefüllt. Ich dachte neulich: Wenn er mal ins Krankenhaus muss, dann bekomme ich keine Auskunft, weil wir nicht verheiratet sind. Wir müssen das bald regeln.

Wie verläuft Ihr Alltag, ohne Berufstätigkeit?

Gerhard Bräuer: Das stört mich nicht. Ich spiele Tennis. Ich gehe morgens, mittags und abends mit dem Hund raus. Das krieg' ich alles noch hin. Ich glaube, es ist eine relativ milde Krankheit, die ich jetzt habe. Das wird natürlich schlimmer.

Birgit Hohnecker: Ich bin seit August wegen eines Rückenproblems krank geschrieben. Jetzt sind wir beide zu Hause, und es ist ganz nett. Wir haben einen festen Tagesrhythmus.

Wie geht es im Tennisverein, seit Ihre Diagnose bekannt ist?

Gerhard Bräuer: Die lassen mich mitspielen (lacht). Ein Tenniskollege, dessen hochaltrige Mutter fortgeschrittenen Alzheimer hat, sagt immer: „Du hast keinen Alzheimer“.

Birgit Hohnecker: Die meisten Leute verbinden Alzheimer gleich mit völlig gaga. Dass es aber einen Weg dort hin gibt, das sehen die nicht.

Gerhard Bräuer: Ja, das sollte besser in die Welt getragen werden. Was ist denn Alzheimer? Leute, die keine Berührungspunkte haben, die wissen das gar nicht.

Birgit Hohnecker: Die Leute sagen: „Ach Gott, Alzheimer, der vergisst alles, der ist nicht mehr lebensfähig, der erkennt keinen mehr“. Das verbinden sie damit. Und wenn sie dann einen sehen, der sich noch einigermaßen ausdrücken kann und noch die Leute erkennt und noch sagt: „Hallo, wie geht’s, wollen wir eine Runde Tennis spielen?“ Dann sagen die: „Du hast keinen Alzheimer“.

Gerhard Bräuer: Manche glauben mir nicht. Irgendwann wird es nicht mehr gehen. Aber wir hoffen, noch ein paar Jahre.

Birgit Hohnecker: Ja, das hoffen wir sehr. Eine Bekannte hat sich viele Jahre um ihren Mann gekümmert, der Alzheimer hat. Sie hat mir erzählt, was sie alles nachts durchgemacht hat. Aber dann wurde es zu viel für sie, und ihr Mann wohnt jetzt in einem Heim. Sie hat mir gesagt, dass er sich da wohl fühlt, dass es ihm da gut geht. Sie ist nach wie vor für ihn da und fährt zu ihm hin. Inzwischen hat sie einen neuen Lebenspartner gefunden, und das finde ich eigentlich ganz toll. Warum sollte sie ihr Leben aufgeben?

Gerhard Bräuer: Das ist eben eine moderne Frau. Die ist zackig und sagt, was sie macht.

Haben Sie mal über das Thema Heim gesprochen? Oder kommt das für Sie gar nicht in Frage? 

Gerhard Bräuer: Natürlich kommt das in Frage. Ich möchte niemand zur Last fallen. Es gibt Pflegeeinrichtungen, die das besser können, als die Anverwandten. Ich würde nicht wollen, dass Birgit mich Tag und Nacht pflegt.

Birgit Hohnecker: Das könnte ich auch körperlich gar nicht schaffen.

Gerhard Bräuer: Also, ich geh’ Dir nicht auf’n Wecker.

Birgit Hohnecker: Das ist aber nett von Dir! (lachen)

Gerhard Bräuer: Man muss schon klar sehen, was geht und was nicht. Es kann natürlich sein, dass ich etwas anderes behaupte, wenn ich nicht mehr so klar bin.

Wollen Sie sich vorher ein Heim aussuchen?

Gerhard Bräuer: Ich denke schon mal darüber nach, dass wir mal gucken gehen: Wo geht man hin, wo gefällt es uns, was können wir bezahlen. Aber derzeit haben wir noch ein bisschen Luft nach oben.

Oft hören wir von Angehörigen, die pflegen, bis sie nicht mehr können.

Birgit Hohnecker: Ich glaube, das ist auch falsch verstandene Nächstenliebe. Man muss auch an sich selbst denken. Oft heißt es „Ja, ich hab es Dir versprochen“, aber man denkt letztendlich gar nicht so darüber nach, was das bedeutet.

Wie war die Günther Jauch Sendung für Sie?

Birgit Hohnecker: Wir wurden sehr freundlich behandelt. Da es eigentlich um die Pflegeversicherung ging, fühlten wir uns etwas fehl am Platz. Aber vielleicht als Beispiel für andere: „Versteckt Euch nicht!“

Gerhard Bräuer: Ja, wir sagen immer, dass man sich nicht verstecken sollte. Wir sind halt so, dass wir nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern was daraus machen.

Herr Bräuer, Frau Hohnecker, wir danken Ihnen für das offene, interessante Gespräch.

Das Interview führten
Susanna Saxl und Hans-Jürgen Freter
Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V., Berlin