Mit dem Kopf zuerst - CTE

Aus: Alzheimer Info 3/18

Gehirnerschütterungen im Leistungssport werden bereits seit einigen Jahren mit einer besonderen Form von Demenz in Verbindung gebracht. Die Forschung nimmt jetzt zunehmend auch leichtere Erschütterungen des Kopfes in den Blick und fragt, welche Folgen sie für die geistige Leistungsfähigkeit und die Lebensqualität haben. Gefährdet sind auch Fußballspieler und unter ihnen besonders Kinder und Jugendliche.

Als Owen Thomas sich selbst umbrachte, war er 21 Jahre alt und Kapitän seiner American Football-Mannschaft an der Universität von Pennsylvania. Er spielte als „Defensive End“, eine Position an der sogenannten "Gedrängelinie". Jeder Spielzug beginnt damit, dass die Spieler, die sich an dieser Linie gegenüber stehen, frontal aufeinander prallen –  nicht selten mit dem Kopf zuerst. Nach dem Tod von Owen Thomas im Jahr 2010 wurde sein Gehirn von Forscherinnen und Forschern an der Universität von Boston untersucht. Sie diagnostizierten eine Chronische Traumatische Enzephalopathie (CTE), eine degenerative Hirnerkrankung. CTE ist auch unter den Namen dementia pugilistica oder „Boxerdemenz“ bekannt. Im Gehirn der Betroffenen sieht man Veränderungen in der weißen Substanz des Gehirns, die an die Alzheimer-Krankheit erinnern. Es kommt zu schädlichen Ablagerunges des Proteins Tau. Außerdem nimmt das Hirnvolumen ab. Die Symptome von CTE sind dramatisch: Neben Gedächtnisstörungen sind unter anderem verminderte Impulskontrolle, Aggressivität und Selbstmord-Tendenzen typisch für CTE. 

Die Krankheit wird besonders intensiv an der medizinischen Fakultät der Universität von Boston erforscht. Das dortige CTE Reseach Center sammelt und untersucht die Gehirne von ehemaligen Footballspielern und anderen Betroffenen. Das Team erprobt Diagnoseverfahren, mit denen CTE auch im lebenden Menschen festgestellt werden kann. Und es beschäftigt sich mit den Ursachen der Erkrankung in der Hoffnung, passende Strategien zur Prävention zu entwickeln.

Junge Amateure mit CTE

Der Fall Owen Thomas war eine Wende in der Erforschung von CTE. Bis dahin war man davon ausgegangen, dass die Krankheit durch wiederholte bzw. schlecht behandelte Gehirnerschütterungen entsteht und auch erst bei älteren Spielern nach einer langen Karriere in einem Sport wie Boxen, Eishockey oder American Football auftritt. Owen Thomas war ein junger Amateur-Spieler und hatte in seinem Leben – zumindest offiziell – noch keine einzige schwere Gehirnerschütterung gehabt. Unter anderem aufgrund dieses Falls vermutet die Forschung jetzt leichterere Schläge gegen den Kopf als Ursache für CTE. Deshalb rücken zunehmend andere Sportarten in den Blick, unter anderem Fußball. Im Fußball kommt es häufig zu leichteren Erschütterungen des Gehirns, etwa durch Kopfbälle oder Zusammenstöße mit anderen Spielern.

Fußball zunehmend im Fokus der Forschung

Im Jahr 2012 konnte eine Studie zeigen, dass Profifußballer im Vergleich zu anderen Leistungssportlern Veränderungen in der weißen Substanz ihrer Gehirne aufweisen –  und zwar auch dann, wenn sie noch nie in ihrem Leben eine Gehirnerschütterung hatten. Die Erstautorin der Studie, Prof. Dr. Inga Katharina Koerte arbeitet an der Harvard Medical School in Boston und ist außerdem Professorin für neurobiologische Forschung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. „Schwere, klinische Gehirnerschütterungen haben wahrscheinlich nicht so einen großen Einfluss auf die Entwicklung von CTE wie ursprünglich angenommen“, sagt Koerte. Sie konzentriert sich in ihrer Forschung auf jüngere Spieler. Diese sind vermutlich besonders gefährdet, weil ihr Gehirn empfindlicher ist. Aktuell koordiniert sie die „Repimpact“-Studie, die seit 2017 mit einem Team aus sechs europäischen Ländern durchgeführt wird: Im Zentrum der Studie stehen jugendliche Fußballer im Alter von 14 bis 15 Jahren, die in Leistungszentren ausgebildet werden. „Wir untersuchen sie mehrfach über einen längeren Zeitraum hinweg mithilfe von biochemischen Tests und bildgebenden Verfahren wie der Diffusions-MRT,“ sagt sie, „Wir möchten verstehen, welchen Einfluss leichtere Erschütterungen auf die Struktur und Funktion des Gehirns haben.“ Die Studienteilnehmer werden mit jugendlichen Leistungssportlern anderer Sportarten verglichen, zum Beispiel mit Ruderern.

Junge Fußballer schneiden bei Kognitionstests schlechter ab als andere Sportler

Dass junge Fußballer in kognitiven Tests schlechter abschneiden als andere Sportler, ergab bereits eine Studie von Koerte im Frühjahr 2017. Damals  wurden jugendliche Leistungssportler mehrfach vor und nach dem Training in Bezug auf komplexe Denkvorgänge  getestet. Das Ergebnis: Alle schnitten nach dem Training besser ab als als vor dem Training. Die Gruppe der Fußballer konnte ihre Leistung im Verlauf der Studie aber nicht wesentlich steigern. Während die Vergleichsgruppe nach mehreren Tests deutlich besser wurde, blieben die Fußballer nahe an ihrem kognitiven Ausgangsniveau.

Diese  Erkenntnis ist auf den ersten Blick weniger erschütternd als ein Fall wie Owen Thomas. „Im Fall der jungen Fußballer geht es nicht um so extreme Phänomene wie Demenz oder Suizid“, sagt Koerte, „es geht eher um verlorenes Potenzial, um schlechtere Schulnoten oder Probleme im Kontakt mit anderen. Diese Folgen sind vielleicht weniger greifbar, aber trotzdem wichtig für das Lebensglück des Einzelnen.“ Die Forschung steht hier noch am Anfang. Abgeschlossene Studien zu diesem Thema gibt es bisher nur mit kleinen, nicht-repräsentativen Stichproben.

Die Spielregeln ändern

Wenn sich herausstellt, dass Fußball für das menschliche Gehirn schädlich ist, könnte man die Art verändern, wie das Spiel gespielt wird. Man könnte zum Beispiel den Kopfball abschaffen. Der Aufschrei, den das unter Liga-Vertretern und Fans auslösen würde, kann man sich aber leicht vorstellen. Der Blick in die USA zeigt, wie schwer es ist, sportliche Traditionen zu verändern. Die amerikanischen Football-Ligen haben CTE jahrelang bagatellisiert bevor sie Maßnahmen ergriffen haben, das Spiel sicherer zu gestalten. Die aggressive körperliche Auseinandersetzung ist aber nach wie vor Kern des Spiels und deshalb auch Teil des Trainings von jungen Spielern. Dass sich das ändert, ist schwer vorstellbar. Owen Thomas wurde auch nach seinem Tod von seiner Mannschaft noch als ein besonders harter Spieler verehrt.

Astrid Lärm, Deutsche Alzheimer Gesellschaft